3. Nahost-Talk

3. Nahost-Talk: Deutsche Politik muss investieren

Wie ist die politische Situation im Nahen Osten?

 Fünf Jahre nach dem Beginn des Arabischen Frühlings zogen auf Einladung der Deutschen Initiative für den Nahen Osten (DINO) und dem Gustav-Stresemann-Institut in Bonn Experten eine Bilanz. Für DINO zeigte sich Sprecher Jürgen Bremer überzeugt, dass angesichts der gefährlichen Entwicklungen im Nahen Osten die Zivilgesellschaft in Deutschland sich auf ein größeres Engagement einstellen muss.Die Bundeskanzlerin habe recht, wenn sie darauf hingewiesen habe, dass Deutschland mehr Verantwortung übernehmen müsse, weil auch die Sicherheitslage des Landes gefährdeter sei.

 

„Viele Hoffnungen wurden enttäuscht, dort wie hier“, sagte Ansgar Burghof, Direktor des GSI, in seiner Eröffnung den rund 200 Besuchern. In der Diskussion unter dem Titel „Der Nahe Osten zerfällt: Wie machtlos sind Europa und die Vereinten Nationen?“ zeige sich aber auch: Neben vielen Konflikten gäbe es auch erfolgreich verlaufende Transformationsprozesse. 

 


„Was sich in der Region abspielt ist ein Konflikt auf verschiedenen Ebenen“, führte der Publizist Marcel Pott aus. In Syrien etwa gebe es eine lokale, eine nationale, eine regionale und eine internationale Ebene: „Die regionale Ebene und die nationale Ebene sind bestimmt durch den Konflikt zwischen den beiden führenden Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien.“ So bleibe Saudi-Arabien ein entscheidender Faktor in der Unterstützung dschihadistischer Kräfte in der Region. Es seien auch die Saudis gewesen, die in den vergangenen 40 Jahren überall in der Welt für einen intoleranten und gefährlichen Islam eingetreten seien. Durch die Finanzierung von Bildungseinrichtungen etwa werde die Radikalisierung von Muslimen betrieben. „Jenseits der Befriedung dieser Regionalmächte ist eine Lösung der Konflikte oder eine politische Befriedung bis auf weiteres nicht denkbar.“ Hinsichtlich der Rolle Deutschlands in den Konflikten sagte Pott: „Die goldenen Zeiten von Hans-Dietrich Genscher, dass wir für nichts verantwortlich waren in der Welt – die sind vorbei. Jetzt sind wir mitverantwortlich und das verlangt unangenehme Entscheidungen. Und Geld.“

„Ich wäre ja schon zufrieden, wenn die drei großen Bürgerkriege – Syrien, Libyen und Jemen – die letzten wären in meinem Arbeitsleben. Daran glaube ich aber nicht“, zeigte sich Guido Steinberg skeptisch. Der Islamwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik widersprach der These, dass Religion in den Konflikten nur eine untergeordnete Rolle spiele und die Machtfragen viel bedeutender seien. „Religiöse Konflikte nehmen in der Region zu“, beschrieb Steinberg die Situation in Syrien, Saudi-Arabien, im Jemen und im Irak. „Da werden wir so schnell nicht mehr herauskommen, weil der Konflikt nicht nur machtpolitischer Natur ist. Religiöse Ressentiments haben enorm an Bedeutung gewonnen.“ Der Konflikt habe aber auch einen sozialen Aspekt. „Man kann sehen, dass unter den Unterstützern Assads viele Angehörige der städtischen Bevölkerung sind. Das macht Assad so stark – und da sind viele Sunniten drunter. Viele von ihnen fürchten die Alternativen zu Assad – etwa die Nusra-Front.“

Skeptisch beurteilte DINO-Moderator Thomas Nehls die Rolle der Vereinten Nationen in dem Konflikt. Dagegen rief Beate Wagner dazu auf, "zu differenzieren und sich die Akteure anzuschauen. Wir haben die Gremien, in denen die Mitgliedstaaten die Spieler sind“, so die ehemalige Generalsekretärin der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen.
„Wir haben den Sicherheitsrat mit seiner speziellen Struktur. Und der zum Beispiel hat in letzter Zeit keine Resolution verabschiedet, die dazu beigetragen hat, die Situation zu entschärfen. Das lag vor allem an der Position und dem Veto Russlands, dem China nachgefolgt ist.“ Davon getrennt seien etwa die Vermittlungsbemühungen des Generalsekretärs, der unter anderem Vermittler benennen könne. „Aber wenn da kein Zusammenspiel zwischen Generalsekretariat und der Staatenebene ist, dann sind die Erfolgsbedingungen natürlich äußerst schwierig“, so Wagner, die auch Lehrbeauftragte für Politikwissenschaft an der Universität Halle ist. Wagner appellierte zudem an Regierungen, von den Vereinten Nationen verabschiedete Regeln auch zu einzuhalten. „2014 ist der Arms Trade Treaty, ein Waffenregistervertrag, unterzeichnet worden und in Kraft getreten. Damit soll der Endverbleib von Waffen dokumentiert werden. Den hat die Bundesregierung glaube ich bei der Lieferung von Waffen an die Kurden nicht so beachtet. Einerseits war die Bundesrepublik stolz darauf, den Vertrag vorangebracht zu haben, dann sollten wir aber auch darauf achten, dass er eingehalten wird.“

„Mit den UN und europäischen Vermittlungen kann man schon einiges machen, man muss nur realistisch sein zu sehen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt machbar ist“, rief Andreas Reinicke, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Tunis, zu Geduld bei den laufenden Verhandlungen zu Syrien auf. „Man kann nicht hexen. Man muss Geduld haben und erkennen, wann man bestimmte Dinge vorantreiben kann und wann man einfach abwarten muss.“ Reinicke verwies auf Tunesien, ein Land das sich nach dem Arabischen Frühling anders, positiver entwickelt habe als seine Nachbarn. „Das Land ist verhältnismäßig homogen und hat – trotz hörbarer Kritik am französischen Kolonialismus – auch viel mitbekommen von der politischen Denkweise Frankreichs. Tunesiens Gesellschaft ist dazu vergleichsweise gut gebildet und man hat dort kein Interesse daran, einen inneren Konflikt hervorzurufen. Darum ist man in Tunesien auch bereit, Kompromisse einzugehen, was in der Region nicht sehr verbreitet ist.“ Man sehe, so der Botschafter, dass das Land trotz aller Schwierigkeiten in der Lage sei, über den gesellschaftspolitischen Konflikt hinaus, sich selbst weiterzuentwickeln. „Das ist aber eine Ausnahme in der Region.“

Steinberg ergänzte, dass Tunesien zwar durch Libyen, durch starke dschihadistische Bewegungen und innere Konflikte gefährdet sei. „Tunesien ist aber das Land, das nicht scheitern darf und dass europäische Politik – oder, wenn es die nicht gibt – deutsche Politik dort investieren muss. Man sollte die Strahlkraft Tunesiens als Ausgangspunkt des Arabischen Frühlings nicht unterschätzen. Wir müssen alles tun, und das sollte Priorität auch deutscher Politik sein, dass dieses Land Erfolg hat.“

Der 4. Nahost-Talk ist für Herbst 2016 geplant.

Bericht: Gustav-Stresemann-Institut/DINO

Fotos: GSI/Matthias Müller

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